„Wir brauchen einen Kulturwandel“

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Der Skilanglauf-Weltcup hat begonnen. Es ist die erste Saison für Peter Schlickenrieder als Teamchef der DSV-Athleten. nordic sports fragte ihn, was er verändern will, um die deutschen Läufer in der Loipe international wieder erfolgreicher zu machen.
Interview: Wilfried Spürck
Herr Schlickenrieder, war es eine kurzfristige Entwicklung oder schon länger angedacht, dass sie den Job als Teamchef Langlauf übernehmen?
Peter Schlickenrieder: Das kam tatsächlich sehr -kurzfristig. Unser Sportlicher Leiter, Andreas Schlütter, fragte mich Ende März, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich musste dann erst mal abklären, ob meine aktuellen Geschäftspartner diesen Weg mitgehen würden und wie wir die Nachbesetzung meines Ehrenamtes beim DSV (als Vizepräsident, d. Red.) regeln, weil ich dies satzungsgemäß abgeben musste. Mir war sehr wichtig, dass das im Einklang mit dem Präsidium und der gesamten Führungscrew im DSV geschah. Das habe ich, auch dank des Entgegenkommens meiner langjährigen Geschäftspartner, nahezu in Rekordzeit hinbekommen und konnte zügig notwendige Veränderungen angehen.
Welche Veränderungen sind das?
Wir brauchen einen Kulturwandel darin, wie wir Leistungssport betreiben. Weg von starren Hierarchien hin zu einem Miteinander, zu echter Teamarbeit – so wie wir es in der Unternehmenswelt vielfach erleben. Ich bin der Meinung, dass der Athlet, der die Leistung bringen soll, absolut überzeugt sein muss von dem, was er tut. Und das kann er nur, wenn er selbst entscheidet und diese Verantwortung annimmt. Ich will den mündigen Athleten, mit dem wir den Erfolg gemeinsam erarbeiten.
Wie setzen Sie diesen Wandel konkret um?
Wir arbeiten viel in Arbeitsgruppen gemeinsam mit den Athleten. Da besprechen wir zum Beispiel konkret, wie wir das Training angehen. So haben wir auf Basis dieser Gespräche und Überlegungen gemeinsam mit den Athleten entschieden, in diesem Jahr in der Saisonvorbereitung kein explizites Höhenkonzept zu absolvieren.
Wie sieht es mit der Einsatzplanung für die Wettkämpfe aus?
Aber da wird nicht mehr von oben vorgegeben, wer wann wo läuft. Wir werden in Einzelmeetings mit den Athleten darüber sprechen, wo sie sich selbst sehen, wo sie gerne starten würden, wo sie glauben, das Optimum aus sich herausholen zu können. Auch bei der Aufstellung der Staffeln werden die Sportler künftig mehr Verantwortung übernehmen. Sie werden selbst einen Vorschlag erarbeiten, den wir dann gemeinsam diskutieren.
Wie nehmen die Athleten diese neuen Ansätze auf?
Insgesamt sehr gut. Wir arbeiten daran, diesen Kulturwandel mit Leben zu füllen. Worte sind das eine, die Praxis das andere. Dazu ist auch eine Portion Vertrauen notwendig, die sich nicht von heute auf morgen aufbaut. Und klar ist es manchmal anstrengend, es geht auch darum, wie man zusammenarbeitet, wie man miteinander umgeht. Das ist ein sehr spannender Prozess in einem Team, das mit Medizinern, Technikern, Betreuern und Athleten, inklusive B-Kader, ungefähr 60 Personen umfasst. Wir möchten eine echte Feedback-Kultur und ein Voneinanderlernen leben. Athleten müssen Dinge offen ansprechen können, sagen, was sie wollen, welche Ziele sie sich setzen, und das Team drumherum versucht, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und zu helfen.
Gibt es auch bei den Trainingsschwerpunkten Veränderungen?
Wir legen deutlich mehr Gewicht auf das Athletik- und Kraft-training. Mit Axel Teichmann haben wir einen eigens dafür -zuständigen Trainer installiert, der sich um Kraft-Athletik-Ausbildung in Kombination mit Technik kümmert. Dadurch sind wir in diesem Bereich aus meiner Sicht erstmals einen kleinen Schritt voraus. Darüber hinaus entwickelt Axel Teichmann ein einheitliches Konzept für alle Athleten – von der A-Mannschaft bis runter zum Achtjährigen. Für jedes Level und jede Entwicklungsstufe spezifisch angepasst.
Warum ist dieser Aspekt so wichtig?
Der Langlauf hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Um die heute geforderten Geschwindigkeiten laufen zu können, ist intensives Krafttraining unabdingbar. Früher lag der Schwerpunkt noch viel mehr auf der reinen Ausdauerleistung. Das allein geht heute nicht mehr, wenn man im Spitzenbereich mithalten will. Ein Top-Langläufer ist technisch fast permanent in Vorlage, in der Vorwärtsbewegung. Dafür braucht man eine gut ausgebildete Ganzkörperstabilität und Beweglichkeit, die Anforderungen an die Muskulatur im Schulterbereich und im ganzen Oberkörper sind deutlich gewachsen. Wenn man da nicht entsprechend vorbereitet ist, kommt es schnell zu langwierigen Schulterverletzungen, die wir in den vergangenen Jahren leider auch immer wieder hatten und noch haben.
Gibt es auch strukturelle Veränderungen?
Uns ist wichtig, dass wir uns eng mit den Stützpunkttrainern -abstimmen. Das ist zwar aufwendig, aber nur so holen wir das Maximum aus unserem System heraus, das es weltweit wahrscheinlich kein zweites Mal gibt. Nur wenige Athleten auf der Welt genießen wohl eine so enge Betreuung wie bei uns in der Nationalmannschaft. Wir wollen ähnlich wie in Skandinavien versuchen, Sportler auch ohne Nationalmannschaftsstatus bei der Stange zu halten, und haben uns deswegen auf einen -einheitlichen Belastungsrhythmus geeinigt.
Welche Vorteile hat das?
Dadurch weiß jeder, ob Kader oder nicht, was wann trainiert wird, und kann sich im Stützpunkttraining gut einklinken. So hat jeder eine gute Chance auf qualitatives Gruppentraining und über transparente Auf- und Abstiegssysteme eine zusätzliche Motivation. -Dieses Auf-und Abstiegssystem ist in den letzten Jahren schon ganz gut aufgebaut worden.
In welchem Zeitraum können die Veränderungen greifen und sich in Ergebnissen niederschlagen?
Langlauf ist eine langfristige Angelegenheit. Es gibt nicht innerhalb eines Jahres die Riesensprünge. Aber mittelfristig haben wir ein gutes Potenzial. Die Mischung aus Erfahrenen und ein paar Jungen, die nachrücken, macht’s aus. Vor allem als Mannschaft sehe ich uns stark. Jeder hat seine individuellen Stärken, die für Teamleistungen einiges möglich machen. Da kann etwas Großes entstehen. Wie weit das reicht, kann man schwer voraussagen. Man muss auch sehen, was die Konkurrenz macht. Die Skandinavier, speziell die Norweger, investieren alles in ihre Nationalmannschaft, und Erfolg kostet am Ende auch Geld. Wenn man etwa die doppelte Zahl von Technikern hat, ist das einfach ein Vorteil. Allerdings, wir sind in puncto Effektivität stark. Mit René Sommerfeldt haben wir einen Hochkaräter als Leiter des Technikerteams. In diesem Bereich sind wir auf Weltspitzenniveau.
Welche konkreten Ziele haben Sie für die nächsten Jahre mit Ihrem Team?
Zu sagen, dass wir bei der WM in Seefeld (ab 19.2.2019, d. Red.) um die Medaillen mitlaufen, wäre vermessen. Ziel ist es, 2021 bei der WM in Oberstdorf um Medaillen mitzukämpfen. Und um Medaillen mitkämpfen bedeutet automatisch Top 6 weltweit. Generell ist es unser Ziel, den deutschen Skilanglauf wieder in die Weltspitze zu führen und damit einen breiten Motivationsschub für eine der schönsten Lifetime-Sportarten der Welt zu schaffen.
Vielen Dank für das Gespräch. <
Das Interview wurde erstmals veröffentlicht in nordic sports, Ausgabe 3/18. Darin finden Sie auch alles Weitere zu den Veränderungen im Trainerstab von Langläufern und Biathleten.